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Bild am oberen Rand

Gedanken zur Fotomanipulation

Tiger Graphics, Weihnachten 2018


Dem Schaf wurde die Ohrmarke weggestempelt, außerdem wurde das Bild zur besseren Gefälligkeit leicht beschnitten.

In den Teilnahmebedingungen für den Naturfotografiewettbewerb bei Glanzlichter [1] ist detailliert aufgeführt, welche Bildbearbeitungen zulässig sind und welche nicht. Einem alten "analogen" Hasen erscheint die dort getroffene Auswahl zunächst sinnvoll, orientiert sie sich doch an den Schritten in der Dunkelkammer, wo Kontrastanhebung, Belichtungskorrektur, Bildausschnittswahl übliche Anpassungen sind, während nachträgliche Doppelbelichtungen und Retusche, also das heutige „Photoshoppen“, schon damals eher verpönt waren bzw. günstigstenfalls als Kunst zu verstehen waren. Eine Unterscheidung zwischen Kunst und Reportage ist daher sicher sinnvoll.
Die Frage, inwieweit ein Fotowettbewerb auf eine Reportage-ähnliche Bildbearbeitung besteht, obliegt natürlich dem Ausrichter selbst.

Aber auch die Reportagefotografie hat bezüglich der Authentizität ihre Tücken. Folgt man den Gedanken von Jamie Windsor [2], so ist die Reportagefotografie immer auch ein Abbild der Erfahrungen und der Sichtweise des Fotografen und insbesondere durch die sozialen Umstände des Betrachters geprägt. Inwieweit ein Foto Reportage-Zwecken dient, ist dabei auch von der Aussage abhängig, die transportiert werden soll. Eine Anteilnahme am Gezeigten wird besonders dann erreicht, wenn Fotos zwar bewegen aber im weitesten Sinne auch schön und nicht abstoßend sind. Dies macht sich die Werbung zu Nutze, wenn Spenden für Kinder aus der dritten Welt gesammelt werden. Die Kinder sind meistens hübsch, niedlich und sauber. Sind sie letzteres nicht, wird häufig der Aus- bzw. Umweg über die Schwarz-Weiss-Variante gewählt . An dieser Stelle wird wiederum die Nähe zur Analogfotografie deutlich. War in früheren Zeiten die Schwarz-Weiss-Fotografie die einzige Möglichkeit zur Dokumentation, wird sie heute immer noch als Reportagemedium akzeptiert. Die totale farbliche Entsättigung eine Bildes ist zwar sofort erkennbar, ist aber als bildbearbeitendes Stilmittel sicherlich ähnlich zu werten wie eine moderne HDR-Technik.

Auch stellt sich die Frage, wo fängt HDR an und wo hört die Ausnutzung des Tonwertumfangs auf? Ist die Tonwertspreizung einer Raw-Aufnahme im Rahmen einer Reportage noch zulässig? Dies kommt sicher auf den Kontext an. Angenommen, eine Aufnahme zeigt einen Kriegseinsatz in der Dämmerung. Dann kann die vollständige Ausnutzung des Dynamikumfanges einer modernen Kamera Details zu Tage fördern, die den unmittelbar Beteiligten vor Ort verborgen geblieben sind. Eine solche Aufnahme könnte im schlimmsten Fall zur Fehlbeurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Einsatzes führen.


Die „Rückansicht einer Meise“ wirkt nur deshalb,
weil das Vogelhaus am rechten Bildrand beschnitten wurde und die Meise freigestellt ist.

Würde man als zulässige Mittel nur Bearbeitungsschritte zulassen, die gleichmäßig auf das gesamte Bild angewendet werden, so wäre die Schwarz-Weiss-Wandlung zulässig, die Auswahl eines Bildausschnitts nicht. Dies erscheint befremdlich, da wir uns daran gewöhnt haben, dass Bilder nachträglich beschnitten werden. Aber ist der Beschnitt eines Bildes nicht mit einer Retusche gleichzusetzen? Ermöglicht er doch das Abschneiden einer unliebsamen Person oder Szene. Ist die Entfernung erst dann unseriös, wenn etwas aus der Mitte entfernt wird?
Eine weitere Kategorie ergibt sich aus der Bearbeitung innerhalb der Kamera. Einige Agenturen bestehen auf den JPG-Bildern direkt aus der Kamera, „Glanzlichter“ lässt Mehrfachbelichtungen für den Wettbewerb nur dann zu, wenn diese direkt aus der Kamera kommen. Somit wird ein Präprocessing einem Postprocessing vorgezogen. Dies bedeutet, dass der Fotograf, der sich eine teure Kamera mit vielen Gimmicks leisten kann, einen Wettbewerbsvorteil hat. Gehen wir noch einen Schritt weiter: Der Umgang mit vielen verschiedenen Kameras hat bei mir in den letzten Jahren nicht nur eine gewisse fotografische Handschrift entstehen lassen sondern auch ein Gefühl dafür, welche Kamera bzw. welcher Sensortyp inkl. Postprocessing für welches Motiv angemessen ist. Verkürzt ausgedrückt schieße ich fröhliche Bilder mit Canon und gesellschaftskritische mit Fuji - der legendäre Fuji-Look. Aber auch dies stellt eine Verfremdung dar, die zugegebenermaßen in letzter Präzision leider nur als Präprocessing möglich ist. Im Bereich des Postprocessing seien die vielen Styles genannt, die Photoshop, Capture One etc. anbieten und die vom Lomo-Look bis zum High-End-Spielfilm-Look so einiges ermöglichen. Ist dies schon eine Verfremdung der Wirklichkeit - oder nur dann, wenn es erst in Capture One, Lightroom oder Photoshop geschieht? Mit der Wahl der Kamera, des Prä- und Postprocessing wird die Aussage eines Bildes immer manipuliert, genauso wie mit der Wahl des Bildausschnitts oder dem Warten auf das „richtige“ Licht. All dies geschieht in Hinblick auf die zu transportierende Bildaussage.

Zu guter Letzt sei hier das Freistellungsvermögen aufgeführt, das häufig als Qualitätsmerkmal einer Optik aufgeführt wird. Die Freistellung eines Objekts geht dabei häufig über das Freistellungsvermögen des menschlichen Auges hinaus und ist somit auch als „künstlerische“ Bildmanipulation zu werten. Angenommen eine Aufnahme zeigt ein Kind aus den Slums auf einer Müllkippe. Wurde das Bild als Kinderportrait aufgenommen, so ist die Müllkippe sicherlich durch Freistellung des Kindes unerkennbar. Wird dasselbe Bild für eine Reportage aufgenommen, die die Lebensumstände des Kindes darstellen soll, so wird der Müll vermutlich genauso scharf wie das Kind abgebildet sein. Dies geschieht dann auch zumeist mit der sogenannten Reportagebrennweite, die dem menschlichen Seheindruck am nächsten kommt.

Letztlich muss also jeder Fotograf für sich entscheiden, wie weit er mit der künstlerischen Veränderung seiner Bilder gehen möchte. Aber selbst wenn es möglich wäre, die absolute Wahrheit mit einem Bild darzustellen, läge die Interpretation des Dargestellten letztlich beim Betrachter, geprägt durch seine Erfahrungen und Erwartungen.


Das Bild der Maus wurde beschnitten, da die verwendete Telebrennweite nicht reichte.Das Tierchen wurde mit Vogelfutter auf der Terrasse angelockt
und dann vom Gartenstuhl aus in aller Ruhe bei einem Gläschen Rotwein aufgenommen.
Ist es noch Wildlife?

[1] https://www.glanzlichter.com/

[2]“When we see a stranger for a brief moment on the street, we know nothing about their lives or who they are. Any commentary we wish to make is determined by our preconceived ideas about them. We are limited by the lens of our own experience.”
https://petapixel.com/2018/11/23/the-ethics-of-shooting-street-photos-of-strangers-you-cant-identify-with/








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